1. Mai 2001

Konsequenzen aus dem ersten Mai 2001

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Ich habe mich mal hingesetzt und überlegt, was ich persönlich als Konsequenz aus den diesjährigen 1. Mai Ausschreitungen gerne sehen würde. Vielleicht sind diese Anregungen ja in Verbindung mit den div. anderen Vorschlägen irgendwie zu diskutieren und zu verwirklichen - statt der Taktik von Herrn Werthebach, jetzt schon wieder "härte zu zeigen", mit weiteren Verboten von Demos, Straßenfesten etc zu drohen.

Das sind erstmal nur relativ unreflektiert aufgeschriebene Gedanken, die mir so durch den Kopf gehen, die zum teil sicher schon irgendwie irgendwo realisiert sind - ist jetzt leider doch etwas länger geworden, vielleicht ist es aber doch für den einen oder die andere interessant oder jemand hat Tips für mich, mit wem ich solche Ansätze/Ideen besser diskutieren sollte.

Aus meiner subjektive persönlichen Sicht: Die Ausschreitungen sind ganz klar provoziert worden durch a) das Demoverbot des Innensenators b) das herbeireden der Gewalt durch Polizei, Politik und Presse.

Fragen wie: Wurden wieder einmal Provokateure der Polizei in Zivil eingesetzt, warum wurden die brennenden Autos nicht gelöscht, sondern haben die Stimmung noch mehr angeheizt etc finde ich mittlerweile eher zweitrangig, weil das aus meiner Sicht ganz klar zur Taktik der Einsatzleitung gehörte, die herbeigeredeten Krawalle weiter anzuheizen und medial auszuschlachten. - Es muß aufgeklärt werden, wer wofür verantwortlich war, diese Aufklärung wird aber nie verhindern, daß es wieder passiert.

Das führt mich zu der Frage, wer hat sich warum provozieren lassen und wie kann man das in Zukunft verhindern.

Als erstes denke ich sollte man sich vom Feindbild der "gewaltbereiten Autonomen" verabschieden. Natürlich gab es auf beiden Seiten Leute, die es auf Krawall angelegt hatten. Aber wenn man sich die Bilder betrachtet, wer Steine geworfen hat, sieht man, daß das keine homogene Gruppe war, sondern Kinder, Jugendliche, Jugendliche ausländischer (im weitestend Sinne) Herkunft, Punks, Vermummte, "normal gekleidete Bürger", Anwohner etc pp. Die "Autonome Antifa" wäre froh, wen sie soviel Mitglieder hätte, wie Steinewerfer unterwegs waren.

Die "Henne oder Ei zuerst"-Frage ist hier: Die Polizei begründet ihre Einsätze immer wieder damit, daß sie angegriffen wurde - nie mußte sie bisher einschreiten, weil es Krawalle ohne Polizei gab. Auch dieses Jahr am 30.4. und 1.5. gab es nur dort Ärger - wo Polizei massiv vor Ort war und agierte - in Kampfuniformen, mit massiver Polizeipräsenz.

Am 30.4. im Prenzlauer Berg von Mauerpark bis Kollwitzplatz sind min. 20.000 junge Menschen unterwegs gewesen, die Polizei hatte sich zurückgezogen - es kommt nur kurz zu unruhe, als die Polizei meint, sie müsse anfangen, Betrunkene in Gewahrsam zu nehmen. Die BGS und Polizeiposten am u-bhf. Eberswalder Str. sind so gelangweilt, daß sie Menschen erklären, warum man bei Rot nicht über die Straße gehen soll.

Am Boxhagener Platz feiern 500 Menschen - hier kommt es zu mittleren Krawallen, als die Polizei den Platz umstellt.

Ebenso am 1. Mai: Mehrere Straßenfeste ohne massive Polizeipräsenz verlaufen völlig friedlich - am Mariannenplatz kommt es zu den Krawallen.

Warum wirft jetzt aber jemand einen Stein auf Polizisten, nachdem er sich von Polizeieinsätzen (Polizisten in Kampfuniformen stürmen wahllos in Menschenmengen/auf Menschenmengen zu) in irgendeiner Form (Angst, Wut, Haß, Fun) negativ berührt füllt?

These: Polizei wird (ob nun bewußt oder unbewußt) als manifestiertes Fremdbefehle ausführendes Feindbild wahrgenommen, das alles symbolisiert, was die Leute an der Gesellschaft stört - Stadtumgestaltung, ohne gefragt zu werden; Wirtschaft, die an den Lebensbedürfnissen der Menschen vorbeigeht; eine Politik, die von Affären und "Abgehobensein" geprägt ist; eine Politik, die kein Interesse an den Bedürfnissen des einzelnen zu haben scheint; eine als Bedrohung wahrgenommene Globalisierung - hier kann dann für einen Abend das ausgelebt werden, was man sonst in Stammtischgesprächen wütend artikuliert wird, bevor man wieder in sein Alltagsleben zurückkehrt.

Interessant wäre hier eine tiefgehende wissenschaftliche Untersuchung der Gründe, warum jemand tatsächlich zum Stein gegriffen hat. Wie es auf Menschen wirkt, wenn anderen Menschen in Kampfuniform Krieg spielen etc. Hier werden empirische Daten gebraucht, um weg zu kommen von den platten Vorwürfen hin zu einer Grundlage für ein Handlungskonzept.

Ebenso wird eine wissenschaftliche Untersuchung der Sichtweise/der Handlungshintergründe der eingesetzten Polizisten benötigt.

Stichworte: "Sicherheit in der Unsicherheit des Lebens" "Schaffung eines sonst nicht vorhandenen Selbstwertgefühls" "Das Gefühl, etwas bewirken zu können (und wenn es nur der kurzzeitige Rückzug der Polizei ist)"

Polizei darf nicht mehr als Spielball benutzt werden, hier müssen Brücken geschlagen werden zwischen Polizei und Bürger - durch offene Kontaktformen, die beiden Seiten zeigen, daß auf beiden Seiten Menschen mit alltäglichen Problemen und Wünschen stehen. Nicht immer nur Talkshows zu Krisensituationen, die zum an den Kopf werfen allgemeiner Vorurteile dienen, sondern Begegnungsformen im alltäglichen Lebensumfeld, die das gemeinsame Miteinander fördern. Polizei muß wieder zur Polizei der Bürger und nicht gegen die Bürger werden.

Was aus meiner Sicht am meisten bringen würde, wären Mittel, die eine positive Identifikation mit der Gesellschaft und der Demokratie bringen. (Da ist es wenig hilfreich, wenn Herr Werthebach sagt "Heute gibt es keinen Grund mehr, gegen die Regierung auf die Straße zu gehen" - das bestärkt die Menschen doch nur noch mehr in ihrer Ansicht, daß ihre Sorgen und Wünsche nicht ernstgenommen werden. Genausowenig ist die Einordnung als "gewaltbereite Chaoten/Störer/Autonome" sinnvoll, sie grenzt aus, statt integrativ zu wirken. Und trifft nebenbei bemerkt auch die Tatsachen nicht.)

Demokratie ist eine Kulturfrage. Sie wird nur da angenommen, wo sie gelebt und erlebt wird, wo Menschen das Gefühl haben, sie sind als Mensch gefragt, sie können mitgestalten und mitwirken und wo Menschen in der Lage sind, gemeinsam auf friedlichem Wege Fragen auszuhandeln.

Diese Partizipationsmöglichkeiten müssen auf allen Ebenen erkennbar vorhanden sein, die Rahmenbedingungen dafür müssen geschaffen werden und Partizipation von Bürger an der Demokratie darf nicht nur geduldet (oder wie durch Demoverbote verhindert) werden, sondern muß eingefordert werden.

Beteiligungsformen an der demokratischen Gesellschaft müssen verstärkt dargestellt werden. Gemeinsame Stadtgestaltung mit den Bürgern statt nur für sie (Schloßplatzkommission), regelmäßige Formen der Rückkopplung zwischen Politik und Bürger (Bürgerforen etc), Projekte, die das selbstbestimmte, selbstorganisierte Handeln unterstützen Fördern (ein Ansatz dafür gibt es ja z.B. im Aktionsprogramm !respect - Für Demokratie und Toleranz, Punkt Förderung von lokalen jugendinitiativen) - warum nicht das nächste mal am ersten Mai ein Straßenfest von Jugendlichen aus dem Kiez (von Jugendlichen, nicht nur für Jugendliche) organisieren lassen? Es gibt ja genügend Untersuchungen, die zeigen, daß Sachen, die Menschen selber, selbstbestimmt und eigenverantwortlich organisiert haben a) das Selbstwertgefühl b) das Gemeinschaftsgefühl stärken und zu wesentlich weniger Zerstörungen/sinnloser Gewalt etc pp führen.

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Brokdorfurteil zum Versammlungsrecht

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Pressespiegel

Die Inszenierung des revolutionären 1.Mai

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